Mit den Entschärfungs-Experten auf Bombensuche

Weder die Tageszeit noch die Wetterverhältnisse spielen eine Rolle. Egal, ob der tonnenschwere Fund nun tief in der Erde, im Schlamm eines aufgeweichten Feldes, in unwegsamem Waldgelände oder gar im Wasser entdeckt wurde – wenn Gefahr für Leib und Leben abgewehrt werden muss, dann rücken die Mitarbeiter des Kampfmittelbeseitigungsdienstes Westfalen-Lippe aus und versehen ihre Pflicht unter Einsatz ihres Lebens.

Dabei pflegen die etwa 20 Außendienstmitarbeiter ihren eigenen Humor, wie der technische Einsatzleiter Karl-Friedrich Schröder gleich zu Beginn mit Blick auf die Gesundheit der Truppe bewies: „Wir sind zwar oft nass und verdreckt, aber dafür raucht bei uns niemand bei der Arbeit.“

 

In Hagen-Bathey, dem Hauptstandort der Arnsberger Behörde mit Nebenstellen in Münster und Detmold, erfuhren die Mitglieder der SPD-Ratsfraktion und ihre Gäste jetzt bei einem „Fraktion-vor-Ort-Termin“, welchen Belastungen die Experte ausgesetzt sind und mit welchen Entschärfungstechniken sie den unliebsamen Hinterlassenschaften aus dem 2. Weltkrieg zu Leibe rücken.

 

 

 

Hans-Peter Eser, der zuständige Dezernent für die Kampfmittelbeseitigung, brachte die Problematik in seinem spannenden wie informativen Vortrag auf den Punkt: „NRW hat etwas geerbt – und keiner will es haben.“ Dass nach wie vor – besonders bei Tiefbauarbeiten – Blindgänger im Erdreich gefunden werden, erfahren die Bürger immer wieder aus den Medien. Die Rede ist dann oft von Evakuierungen und gesperrten Straßen und Bahnstrecken. Zumindest solange, bis die Mitarbeiter der Kampfmittelbeseitigung nach einer gelungenen Entschärfung Entwarnung geben.

 

Dass das hochexplosive Erbe aus dem 2. Weltkrieg aber so schwer wiegt, wie von dem Experten dargestellt, hätten sich die Fraktionsmitglieder nicht träumen lassen.

So wurden bis Kriegsende in NRW rund 600 000 Tonnen an Bomben abgeworfen.

Allein auf das Ruhrgebiet warfen die Alliierten 160 000 Tonnen Sprengstoff.

„Wir gehen davon aus, dass davon etwa 5 bis 20 Prozent noch als Blindgänger, also als nicht detonierte Bomben oder Granaten unter der Erde liegen“, so Hans-Peter Eser.

So müssen in NRW im Durchschnitt wöchentlich etwa 17 Bomben und 140 Granaten entschärft und geborgen werden.

 

Dabei liegen diese tödlichen Hinterlassenschaften nicht immer tief im Erdreich verborgen. Erst kürzlich habe eine Pilzsammlerin eine schwere Fliegerbombe im Wald entdeckt, deren Spitze aus dem Waldboden ragte. „Wohl auch ein Beweis dafür, dass an dieser Stelle seit 73 Jahren niemand nach Pilzen gesucht hat“, mochte sich der gelernte Dipl.-Chemiker Eser trotz der Brisanz einen Scherz zu diesem Fund nicht verkneifen. Andererseits gebe es aber auch Situationen, in denen zunächst viele Meter tief gegraben werden muss.

 

 

 

Die Landesbehörde, so erläuterte Klaus Bekemeier, Hauptdezernent für Gefahrenabwehr und Kampfmittelbeseitigung beim Regierungspräsidenten in Arnsberg, sei für die nicht polizeiliche Gefahrenabwehr zuständig. Dabei arbeite man natürlich mit den kommunalen Ordnungsbehörden, der Polizei und der Feuerwehr sehr eng zusammen. Sicherheit habe höchste Priorität, weswegen die Ordnungsbehörden auch meist präventiv, d.h. vor Bauarbeiten, tätig würden. Dabei sei die Entschärfung und Beseitigung von Kampfmitteln aber nur ein Teil der Arbeit. Der andere Teil, den 10 Innendienstmitarbeiter in Hagen bewältigen, bestehe aus der Auswertung tausender Luftbilder, die insbesondere die Engländer während ihrer Angriffsflüge über das ehemalige Reich geschossen haben. 130 000 solcher Luftbilder stehen der Behörde allein für Westfalen-Lippe zur Verfügung. Neben Bombentrichtern und zerstörten Städten und Landschafen lassen sich auf diesen Aufnahmen auch potentielle Blindgänger ausmachen und lokalisieren. Was früher über dem Papierabzug mit der Lupe mühsam bewerkstelligt werden musste, wird heute am Computer vom digitalisierten Foto direkt auf die Landkarte übertragen. Ist der mögliche Fundort bestimmt, machen sich die Experten am Boden mit speziellen Detektoren auf die Suche, um die Lage einer eventuell vorliegenden Bombe im Erdreich genau eingrenzen zu können.

Dass es bei der anschließenden Entschärfung – beispielsweise einer HC 4000 mit einer verheerenden Sprengkraft von 1400 Kilogramm Sprengstoff – eines enormen Erfahrungsschatzes und einer ganz besonderen Fingerfertigkeit bedarf, das vermittelte Einsatzleiter Karl-Friedrich Schröder den Besuchern sehr anschaulich in der angrenzenden Werkshalle. Aus seinem ganz besonderen „Schatzkästchen“ förderte er die verschiedensten Zünder hervor und erläuterte anhand der aufgesägten mechanischen Instrumente die teilweise sehr empfindlichen Arbeitsweisen. Denn um eine Fliegerbombe zum Detonieren zu bringen, bedarf es einer Sprengstoffkette, die vom Zünder ausgelöst wird. Bei einer Entschärfung müssen daher Zünder und Bombe getrennt werden, ohne dass diese Kette ausgelöst wird. Dafür stehen den Kampfmittelexperten zwar die verschiedensten Werkzeuge bis hin zum Sandstrahlschneider zur Verfügung, doch ersetzen diese Hilfsmittel weder größte Vorsicht noch das Wissen um die versteckten Tücken der Zündmechanismen.

 

Wenn gar nichts mehr ginge, so resümierte Hauptdezernent Klaus Bekemeier, müsste die Bombe vor Ort gesprengt werden. „Das war aber seit ca. 15 Jahren nicht mehr notwendig“, fügt er zum Ende der dreistündigen Veranstaltung stolz hinzu und unterstreicht damit die große Verlässlichkeit einer eher ungewöhnlichen Abteilung der Bezirksregierung Arnsberg.